Legasthenie-Erlass zur Zentralmatura

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Legasthenie und Reifeprüfung_2015.pdf
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Legasthenie, spezielle Bedürfnisse und neue Reifeprüfung

Der Regelfall der standardisierten Reifeprüfung an den AHS im heurigen Schuljahr und an den BHS und Bildungsanstalten im Schuljahr 2015/16 bewirkt, dass für Kandidat/innen mit diagnostizierter Legasthenie bzw. besonderen Bedürfnissen klar definierte Regelungen gelten müssen.

 

1. Legasthenie

Der „Legasthenie-Erlass" (Rundschreiben 32/2001 vom 28. Mai 2001) weist darauf hin, dass unter Bezugnahme auf § 16 der Verordnung über die Leistungsbeurteilung fachliche Aspekte für die Beurteilung von Schularbeiten angegeben werden. Für die Beurteilung in der Unterrichtssprache sind die fachlichen Aspekte Inhalt, Ausdruck, Sprachrichtigkeit und Schreibrichtigkeit angegeben. Sowohl aus den Lehrplanbestimmungen als auch aus der Verordnung ergibt sich somit eindeutig, dass der Gesichtspunkt der Schreibrichtigkeit keinesfalls die einzige Grundlage der Leistungsbeurteilung sein kann und darf.

 

Eine wesentliche Prämisse bei abschließenden Prüfungen ist, dass es im Reifeprüfungszeugnis keine Vermerke über Legasthenie oder andere veränderte Rahmenbedingungen geben darf, um Kandidat/innen in dieser Hinsicht nicht zu diskriminieren. Aus diesem Grund sind keine abgeänderten Aufgabenstellungen weder bei Schularbeiten noch im Rahmen der Reifeprüfung vorgesehen.

Bei der Konzeption der Reifeprüfung aus Deutsch und weiteren Unterrichtssprachen wurde darauf Bedacht genommen, dass die Kompetenzbereiche so gewählt sind, dass die „normative Sprachrichtigkeit" über beide Schreibaufgaben hinweg beurteilt wird und Fehler in einem Text alleine nicht zu negativen Beurteilungen führen können. Die Dauer der Prüfung aus Deutsch verbleibt bei 300 Minuten, und ist damit länger als bei anderen Teilprüfungen der Reifeprüfung. Das Konzept der neuen Reifeprüfung nimmt also auf leichte Formen der Legasthenie Rücksicht.

 

 

2. Diagnostizierte Legasthenie oder andere Bedürfnisse

Nur bei nachweislich vorliegenden und schwer wiegenden Störungen, die sich im Sinne einer Sinnes- oder Körperbehinderung auswirken und beispielweise das Erlernen und Anwenden der Rechtschreibung oder das Hören von Hörtexten beeinträchtigen, kann § 18 Abs. 6 des Schulunterrichtsgesetzes angewendet werden. Danach sind diese Schüler/innen „unter Bedachtnahme auf den wegen der körperlichen Behinderung erreichbaren Stand des Unterrichtserfolges zu beurteilen, wobei die Bildungs- und Lehraufgabe des betreffenden Unterrichtsgegenstandes grundsätzlich erreicht werden muss."

 

 

In diesem Fall können die Rahmenbedingungen der Reifeprüfung verändert werden, die Aufgaben selbst allerdings nicht (siehe Hinweis auf die unterlassenen Zeugnisvermerke).

 

Die Änderung der Rahmenbedingungen bezieht sich auf die Möglichkeit, mehr Zeit für die Durchführung der Prüfungsklausur zu geben oder spezielle, vor allem elektronische Hilfs-mittel, verwenden zu können.

 

Bei Legasthenie empfiehlt sich die Möglichkeit der Verwendung eines PCs mit einem Textverarbeitungskorrekturprogramms (Rechtschreibthesaurus), der auf jeden Fall dem in den Verordnungen über die abschließenden Prüfungen BGBI.Nr.174/2012 (AHS) und BGBI.Nr. 177/2012 (BHS) genannten "elektronischen Wörterbuch" entspricht. Bei Prüfungen in speziellen Umgebungen (z.B. Unterricht im Krankenhaus) sind die Bedingungen entsprechend anzupassen.

 

3. Vorgangsweise

Kandidat/innen, die bei der Durchführung der standardisierten Reifeprüfung motorisch, sinnesmäßig oder legasthenisch beeinträchtigt sind, sind von der Schuldirektion bis zum Kalenderjahresende bei der Schulbehörde erster Instanz zu melden.

 

Zentrale Ansprechstelle für die weitere Vorgangsweise ist die Schulaufsicht des jeweiligen Einzugsbereiches. Wenn die Beeinträchtigung des/der Kandidaten/in durch ein medizinisch/psychologisches Attest und eine Stellungnahme des jeweiligen Klassen bzw. Jahrgangsvorstandes dokumentiert ist, wird die Schulaufsicht eine Zusammenkunft zwischen Lehrenden der Schule, der Schuldirektion und dem BIFIE organisieren, um die Vorbereitung und die spezielle Durchführung der Reifeprüfung vorzunehmen. Erziehungsberechtigte bzw. die eigenberechtigten Schüler/innen sind in die Vorbereitung mit ein zu beziehen. Dann sollte bis Mitte März klar sein, ob zum Haupttermin der Reifeprüfung spezielle Drucksorten hergestellt, spezielle Räumlichkeiten reserviert oder andere Vorkehrungen getroffen werden müssen.

 

4. Vorwissenschaftliche Arbeit /Diplomarbeit

 

Auch bei der Verfassung einer „Vorwissenschaftlichen Arbeit" (VWA) bzw. einer Diplomarbeit (DA) sind Kompetenzen nachzuweisen, wobei die „sprachliche Kompetenz" eine von mehreren Kompetenzen darstellt: Die „sprachliche Kompetenz" ist nicht auf die Rechtschreibung allein festgelegt.

 

Folgende Bewertungskriterien wurden definiert:

 

1. Der/die Kandidat/in beherrscht die wesentlichen Grundprinzipien von Orthografie, Satzzeichensetzung und Grammatik.

 

2. Der/die Kandidat/in entspricht in Wortwahl/Wortschatz einem vorwissenschaftlichen Anspruch.

 

3. Der/die Kandidat/in fördert die Leserfreundlichkeit des Textes.

 

4. Der/die Kandidat/in baut Zitate sprachlich korrekt in den Textzusammenhang ein.

 

Hier besteht innerhalb der vier Deskriptoren eine Kompensationsmöglichkeit.

 

Insgesamt kann daher festgehalten werden, dass bei der Beurteilung der Reifeprüfung in allen Teilprüfungen auf spezielle Bedürfnisse von Schüler/innen Rücksicht genommen wird, ohne den Anspruch auf eine qualitativ hochwertige und international vergleichbare Abschlussprüfung zu reduzieren.

 

Mag. Karl Hafner

Kurt Nekula MAS